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#notoageism Texte Ähnlichkeiten mit realen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt!!! Die Autofahrt Eine älter gelesene Frau und ein jüngerer, männlich gelesener Kollege arbeiten seit rund einem Jahr zusammen. Die Frau hat den Jüngeren ins Team geholt, gefördert und „aufgebaut“. Der so erbaulich aufgebaute Kollege und seine ältere Fördererin sitzen eines Tages, es ist gegen Ende der „Spielzeit“, wie es in der Branche, in der sie arbeiten, heißt, in einem Auto, um eine rund einstündige Fahrt in eine andere Stadt zu machen, wo sie sich gemeinsam eine Arbeit anschauen wollen. Sie plaudern angeregt, unterhalten sich über die bald zu Ende gehende Saison, vielleicht auch über Persönliches, Privates. Angeregt, kollegial, vielleicht wird auch da und dort gemeinsam gelacht. Kurz bevor die Kolleg:innen an ihrem Ziel ankommen, meint der junge Kollege, es müsse seiner älteren Vorgesetzten noch etwas sagen: Es werde, so erklärt er, ab der nächsten Spielzeit ihre Stelle übernehmen … Die älter gelesene Kollegin steigt aus dem Auto. Wenige Tage darauf beendet sie ihre Arbeit an der bisherigen gemeinsamen Arbeitsstelle. Der junge männliche Kollege übernimmt ihre Stelle. (Auch wenn es nach „Methode“ aussieht, so ist es keine „Absicht“, dass die bisherigen gesammelten Geschichten meist zwischen älter und weiblich gelesenen Personen und jüngeren, männlich gelesenen Personen geschehen sind. Es wäre auch wichtig aufzuzeigen, dass Altersdiskriminierung FLINTA*-Personen gegenüber auch innerhalb gleichgeschlechtlich gelesener Personen „passiert“. Ich freue mich, wenn auch Erfahrungen in diesem Feld erzählt und behandelt werden. Alle Geschichten werden anonymisiert – und: Sie wiederholen sich!) --- Der junge Mann speibt Der junge Mann weint. Nein, sagen wir nicht Mann, sagen wir Mensch. Warum auch nicht, ist doch egal, Mensch eben. Und nein! Der junge Mensch weint nicht! Nein, ein Fehler in der Erinnerung jener, die bei ihm saßen. Er speibt, ah, speit. Er bricht also. Er erbricht. Der junge Mann – nein: Mensch!, hallo! – erbricht, weil er Angst hat. Er hat Angst, die ihn erbrechen macht. Angst vor dem System, in dem er arbeitet. Den Menschen, mit denen er arbeitet. Er erbricht sich aus Angst. Und arbeitet weiter. Er sitzt mit dem Erbrochenen hinter sich, heruntergespültem Angst-Erbrochenen, in der Kantine seines Arbeitgebers. Oder Arbeitgeberin. Oder Arbeitgeber:innen. So genau wissen wir das nicht mehr. Er sitzt da und weint nicht. Und da sitzt ja noch eine andere. Eine Unsichtbare. Unsichtbar gemachte. Niemand spricht mir ihr, der Unsichtbaren. Weil sie alt ist? Weil sie anders ist? Weil sie anders ist, weil sie alt ist? Weil sie alt und anders ist? Wir wissen auch das nicht. Auch sie hat Angst vor dem System, in dem sie arbeitet. Was für ein Leben. Immer in Angst vor dem System, in dem man arbeitet. Kann man es ändern. Kann man ausbrechen. Warum will man das nicht, will man das nicht. Bricht lieber, erbricht sich, damit es nicht ganz über eine:n hereinbricht, das System der Angst, ein bisschen Erbrochenes kann da schon helfen, die Angst aus den Geweiden, ah, den Eingeweiden, nicht den Eingeweihten, die gibt es auch, aber zu denen gehört er noch nicht und sie nie. Nein, sie nie, nicht jung und nicht alt, alt schon gar nicht. Er aber will dazu gehören, will unbedingt dazugehören, will eingeweiht werden, auch wenn er alles davor ausspeien muss, speiben, um zu bleiben. Schafft er auch. Mit den Jahren, bleibt man schlank, wenn man dem System mit Kotzen entkommt, nein, nicht entkommt, auch nicht entrinnt, sondern in ihm zerrinnt, im System der Speienden, und manchmal Speibenden, je nachdem, wo die Angst und deren Verursacher:innen gerade gelagert sind, gelagert haben, und sie lagern immer überall und gerne mit allen, weil „Community“, weil „Gemeinschaft“, weil nie Gesellschaft, in der – nein, zu der will man nicht gehören, will man sich nicht lagern, lieber ins Bett der Eingeweihten, Eingespeiten und Ausgespeiten, denen die Kotze in den Kragen passt, weil wer speibt, der verdirbt nicht, nicht das System und nicht die Gemeinschaft. Die, die sich aus-kotzen, nicht im Geheimen, die, die glauben, es muss gesagt werden, weil die Kotze sonst weit über Kragenweite in die Augen schießt, bis die auch wieder tränen, die, ja, genau die, die will man nicht. Die schaut man gar nicht an, an denen schaut man vorbei, es könnte ja noch triefen, und dann würde man etwas davon abbekommen und wissen, dass diese Tränen-Kotze man selbst verschuldet hat, nein, auch das nicht, man ist ja nie schuld, man hat auch keine, man ist ja gut und tut gut und zeigt Gutes, ja, das tut man, das Gute zeigen, und auch das Schlechte, weil es geht ja ums Rechte und Gerechte – aber nur da, wo man es zeigt, wo man es nicht zeigen muss, kann man auch mal weh tun, den anderen, gefälligst, nie sich selbst, den anderen, und am besten denen, die nicht dazugehören, nicht zur Community der Eingeweihten, sondern zum Auswurf der Ausgespeisten. Wo war ich? In der Kantine, ja, ups, jetzt steht da dieses Wort, das gleich wieder einen Aufschrei erzeugt, ich könnte auch Kaffeehaus oder Wirtshaus schreiben, wäre unauffälliger, nicht unbedingt ausgefallener, denn dort sitzen sie auch, die Auffallenden und die Ausgefallenen, Kotzen geht immer, aber bitte nicht am Stammtisch, nur nicht am Abstammungstisch der Eingeweihten, die immer schon wissen, wie es geht, die immer schon vor der WC-Tür stehen, wenn der Promi, der eine, die eine Promi eben reingegangen ist und man sie oder ihn abfangen will, nicht gleich am WC-Türl, da könnte man ja schamlos etwas vom Kotzen, Koksen, Pissen oder Scheißen mitbekommen, das muss nicht sein, aber rein und clean und immer gut ausgekotzt, so am WC-Türl draußen, da kann man schon warten, um endlich, endlich zur Community zu zählen, ein Wort hier, ein Wort da, das Erbrochene herunterwürgen, bis man merkt, da gibt es gar keines mehr, das, was man einst ausgespien hat, vor Angst, das ist jetzt weg, wie wunderbar, man hat sich ausgespien, um dazuzugehören, endlich geht das, endlich keine Kotze mehr aus Angst, dafür kotzt man eben den anderen in den Teller, oder auf den „Karrierepfad“, den muss man ja auch unterbrechen, wie die weißen Steine beim Malefiz, denke ich mir, so sieht das aus, irgendwann stehen alle vor dir, die kleinen weißen Steine, am liebsten gehäuft, geht nicht am Brett, aber im Land der Bretter, die die Welt bedeuten, und nichts weniger, da geht das, da häuft man die ausgekotzten, die von den anderen ausgekotzten Steine vor sich auf, wenn man nicht dazugehört, nicht tätig an der Communityarbeit mitgeschleppt hat, und schon gar nicht vor dem WC gewartet, oder doch, aber ahnungslos und mit voller Blase, muss auch sein, nur warten, um dazuzugehören, geht auch nicht immer, manchmal tut man auch anderes im WC, worüber wir hier schweigen und uns mal eben nicht auskotzen, geht uns auch nichts an, auch wenn es da und dort doch auch ein Teil des „Karrierepfades“ geworden ist, das andere angeflüssigte ausgekotzte Trotzdem, trotz allem, trotz dem – oder der – eben trotzdem, weitermachen, weiterwarten, weiterkotzen, um nicht zu speiben, schon wieder schreib ich es so, ohne dass der Duden es erlaubt, aber in Wien wird eben gespieben statt gespien, und geschwiegen statt geschrien, schreien hilft auch nicht, schreiben auch nicht, da kommt sicher schon wieder, der schreibt, oder schreit, dass sieer sich erkennt, wie denn, wo denn, im Erbrochenen? Wirklich jetzt? Da muss ich doch wirklich einen Punkt machen. Du warst das? Du warst der junge Mann, der mich mit seinem Erbrochenen um Hilfe gebeten hat, mich, die Ausgespien, nein, das kann nicht sein, das muss ein anderes Leben, eine andere Kantine gewesen sein, ganz woanders, nicht hier, nicht hier unten, wo es nicht einmal ein Klo gab, aber erinnern tu ich mich doch, dass es war, dass die Angst noch da war, bevor die Community einen gefressen hat, mit Haut und Haaren. Wenn das dann nicht zu speiben is. --- Park statt Party Eine Frau* um die 45 arbeitet mit einer:m jüngeren Kolleg:in in mehreren beruflichen Zusammenhängen. Die beiden tauschen sich während der gemeinsamen Arbeitsprozesse aus und halten auch danach Kontakt. Zuerst wird die „ältere“ Frau auch zu Partys und Festen eingeladen, bei denen vorwiegend jüngere Menschen zu Gast sind. Bald schon werden die Einladungen ausgesetzt. Stattdessen bietet die:der junge Kolleg:in an, sich zum Spazierengehen zu treffen und über ihre:seine beruflichen Schritte zu erzählen. Die älter gelesene Kolleg:in freut sich vorerst über diese Treffen. Noch tauscht man sich ja über Projekte aus, die man gemeinsam ins Auge fassen könnte ... Doch bald schon merkt sie, dass die Parktouren in Wohnungsnähe statt der bisherigen Einladungen zu Festen und Feiern stattfinden. Sie betont, dass sie sehr gerne weiterhin auch zu diesen eingeladen werden würde, man sei ja befreundet … Nachdem sie erfährt, dass dennoch nicht mehr in größere Gruppen erwünscht ist, beendet sie auch die Park-Spaziergänge. Als sie einmal nachfragt, warum sie nie mehr eingeladen wurde, wird ihr geantwortet, man habe das Gefühl, dass sie sich doch nur „langweilen“ würde, es seien ja „nur junge“ Menschen außer ihr bei diesen Feiern … Was erzählt uns diese Geschichte? Netzwerken? No way! Nur nicht für „Alte“. Ich erinnere mich an meine Kindheit, und vielleicht hat mich dieser Fall daher auch so betroffen gemacht: Mit meiner Oma bin ich immer in den Park gegangen, der Park lag keine Minuten von zuhause entfernt, und meine Großmutter machte für diese Wanderung auch immer gleich ein Lunchpaket fertig, in dem sich Sunkist oder Dreh-und-Trink sowie ein Apfel, säuberlich in „Apfelspalten“ befanden, und ein feuchter Waschlappen für danach. Gleich nach der Ankunft setzten wir uns auf eine Bank, meine Oma nahm die - natürlich geschälten! - Spalten aus dem Säckchen, die sie mir Stück für Stück reichte, und zuletzt den Waschlappen. Das Süßgetränk hielt ich meist schon beim Verlassen der Wohnung in der Hand (ich war schwer adipös und zetweise turnbefreit, die Parktouren taten das ihre dazu ...) Will man als ältere Kollegin so enden: mit der Apfelspalte in der Hand und danach mit dem Feuchtlappen, oder dem bunten Zuckerwasser (statt Bier oder Wein), während man sich die Karrierepläne der jungen Kolleg:innen anhört, für die man schlichtweg nichts mehr ist als eine Oma, die man zwar ganz gern hat, aber sicher nicht mehr als ernstzunehmende Kollegin an der Seite haben will? Und ja, auch das ist Altersdiskriminierung im beruflichen Kontext: Wo man unsichtbar gemacht wird, ist es schwer, sich ohne viel Mühe – und ohne all die Scham, die der Ruf nach Sichtbarkeit immer mit sich bringt – beruflich weiterzubewegen. Also: Party als Park! Oder einfach mal fragen, was man am Abend lieber tun würde! --- Bewerbung mit "Expertise" Eine Frau um die 50 bewirbt sich bei einem angesehenen Betrieb um eine ausgeschriebene Positionen. Verlangt werden Erfahrung, Expertise, Vortrags- und Publikationsnachweise. Betont wird, wie stets, dass Frauen* bei "gleicher Qualifikation" wie männlich gelesene Personen "bevorzugt" begutachtet würden. Die Frau weist die laut Ausschreibung notwendigen zahlreichen Vorträge und Publikationen neben den weiteren geforderten Kenntnissen aus. In dem Betrieb, in dem sie zu dieser Zeit noch arbeitet, ist auch ein junger Mitarbeiter tätig, nicht direkt ihr unterstellt, doch die beiden sind immer wieder im offenen Gespräch und tauschen sich über ihre berufliche Situation aus. Dabei wird klar, dass sie sich für eben diesen Job gleichzeitig beworben haben. Der erst wenige Jahre zuvor mit dem Studium fertiggewordene (männlich gelesene) Kollege, halb so alt wie seine Mitbewerberin, wird für ein Kennenlernen kontaktiert. Die Frau* nicht. Die ältere Kollegin bittet ihren jungen Kollegen, ob er so fair wäre, ihr seine Bewerbung zu zeigen. Er tut das: Der junge Kollege gibt darin ehrlich und transparent an, in welcher Funktion er derzeit tätig wäre, dass er davor studiert und bereits einen Vortrag gehalten habe. Kurze Zeit später arbeitet er, in einer anderen Funktion, in dem Betrieb, der ihm in den folgenden Jahren faire Aufstiegschancen bietet. Die doppelt so alte Kollegin wird nie kontaktiert, erhält nicht einmal ein Absageschreiben. Der "Normalzustand". Anmerkung: Es geht in diesem Beispiel um die Frage, inwieweit Unternehmen wie jenes in dem geschilderten Fall tatsächlich mit offenen Karten spielen. Strukturelle Altersdiskriminierung gibt vor, faire Vergleichsdaten heranzuziehen, tut dies jedoch de facto nicht, sondern zieht explizit jüngere Bewerber:innen älteren vor – und das auch, wenn die Qualifikationslage eindeutig für die älteren Bewerber:innen spricht. Wie damit umgehen? Es geht hier nicht darum, jüngere Bewerber:innen von ihrem Versuch, Karriereschritte zu unternehmen, abzuhalten. Was es jedoch braucht, sind dann transparentere Vergabe-Parameter. Dies würde auch insofern helfen, als derzeit die Behauptung im Raum steht, dass auch ältere Arbeitsuchende "gerne" auf dem Arbeitsmarkt gesehen würde. Dies entspricht jedoch nicht den realen Gegebenheiten. Würden Betriebe ehrlich agieren, also deutlich machen, dass sie "älter gelesene" Personen nicht aufnehmen wollen, würde dies auch in Hinblick auf die gesetzliche Absicherung älterer Personen Folgen nach sich ziehen, nicht zuletzt falsche Darstellungen wie jene, dass diese noch gern gesehen – oder gar beschäftigt – werden, endlich als solche ausweisen. Es würde vielleicht auch ein allgemeines Umdenken hervorrufen, das in der derzeitigen Situation, in der sich über Altersdiskriminierung mehr Scham und Schweigen legen als wirkliche gesellschaftliche "Fürsorge" und ein ehrliches Bemühen, ältere Kolleg:innen auf dem Arbeitsmarkt zu halten, nicht möglich scheint. --- Zu alt Eine Frau um die 45 sucht für ihren Betrieb im Kunst- und Kulturbereich eine:n neue:n Partner:in, da ihre bisherige eine neue „berufliche Herausforderung“ gefunden hat. Sie fragt einen jungen Kollegen, der in einem ähnlichen Arbeitsfeld tätig ist. Er sagt begeistert zu. Wie wunderbar eine Zusammenarbeit mit ihr wäre, wi sehr er sich über die Anfrage freue ... Sie stellt ihn allen relevanten Partner:innen, Stellen und Finanzgeber:innen vor und holt ihn auch in zeichnenden Funktionen an ihre Seite. Sie wechseln das Büro, besprechen weitere Arbeitsteilungen. Und beginnen, den Betrieb gemeinsam weiterzuführen. Nachdem die Frau um die 45 diesen auch finanziell für einige Zeit auf stabile Beine gestellt hat, kommt der Mann, um die 32, eines Tages - es sind genau 5 Monate seit dem Beginn der gemeinsamen Arbeit, es ist Mai - im Büro auf sie zu, um ihr zu sagen, dass er sie bittet, den Betrieb zu verlassen. Und er erläutert ihr offenherzig, warum: Er wird seine Freundin, um die 25, statt ihr an seine Seite holen. Denn: Die Frau um die 45 seit ihm "zu alt". Die Frau um die 45 verlässt den Betrieb. Der Mann holt seine junge Freundin statt ihr an seine Seite. |