< zurück

Ich bin frei
Ein Interview zum 60. Geburtstag des Wiener Schauspielers, Regisseurs und Theaterleiters Hubsi Kramar
von Angela Heide

Dein 60er. Wir sitzen im 3raum. Wie war das mit 20. Hast du da schon daran gedacht, einen Ort wie diesen zu leiten?

Hubsi Kramar: 20? Ich glaube, da bin ich gerade wieder wo durchgefallen. Nein, da habe ich an so was noch überhaupt nicht gedacht. Nein. Mit 20 musste ich einrücken, das musste man damals machen. Ich war bei der Garde und habe begonnen, Redewettbewerbe selbst zu organisieren. (das waren offizielle Redewettbewerbe - da habe ich mitgemacht mußte also keinen Dienst mit der Waffe machen - habe diese Redewettbewerbe alle gewonnen - Österreichweit - alle Garnisonen - war dann dafür in Genf eingeladen) 1968 - mit 20 war ich in Paris, d. h. davor ich war in Afrika, da bin ich überfallen worden und diese Leute haben mir das ganze Geld gestohlen - ich bin dann mit Müh und Not ohne Geld und Ausweis nach Paris gekommen, wo ich Zeitungen verkauft habe und diesen ganzen Aufruhr grandios fand - 1968 - mitten im revolutionären Geschehen zu sein. Zu Pfingsten war ich davor noch in Prag gewesen (den Prager Frühling miterlebt, ebenfalls 1968). Noch vor dem Einmarsch der Sowijets. Aber das ganze damals eher zufällig. Bewusst zu internationalen politischen Aktionen, an denen ich auch teilnahm, gereist bin ich erst später.

Wie bist du zum Theater gekommen?


Hubsi Kramar: Eigentlich über diese Redewettbewerbe. Ich habe mich mit Cicero, Cato, Demostenes u. a. beschäftigt, also mit Texten und Theorien über das Sprechen und die Politik. Auch mit Adornmo und Marcuse natürlich. Ich komme aus einer Arztfamilie und hätte eigentlich Medizin studieren sollen, habe aber die Aufnahmeprüfung am Reinhardt-Seminar gemacht - und tatsächlich geschafft, schließlich war ich ja ein Landkind, fern der ganzen Wiener Insiderkreise.
Nach der Ausbildung bin ich gleich an die Staatsoper und an das Burgtheater engagiert worden Es war damals eine Bond-Inszenierung - König Lear, zu der Bond selbst inszenierte. Die Arbeit war dementsprechend ungewöhnlich für das Burgtheater, - das erste freie Theater sozusagen in dieser riesigen Institution (Intendant Klingenberg) - und dann ans Theater an der Wien, wo ich in einem Musical an der Seite von Marianne Mendt mitgemacht haben - der Rocker- in "Appartment" - damals war ich noch etwas wilder.
Und dann hatte ich eine Schwägerin, die ebenfalls am Seminar war, die mir von Grotowski erzählt. Das war natürlich etwas aufregendes. Ich bin dann nach Polen zu ihm - es war auch die Zeit der Workshops in Wien am Dramatischen Zentrum.
Danach habe ich die Filmhochschule gemacht und dann die damals neu gegründete Ausbildung für kulturelles Management/Arts Administration, die u. a. Häussermann ins Leben gerufen hatte, absolviert, das ist das heutige IKM, und dann noch ein Post Graduate Studium in Harvard (1977)abgeschlossen.
Aber noch wichtiger als die Ausbildungen war für mich dann die Zeit bei Jerome Savary - Grand Magic Circus Paris. Das war einfach lebendiger, genussvoller. Man hat geprobt, was immer viel mit Musik zu tun hatte, dann ist man - immer sehr lange - gemeinsam essen gegangen und hat eine totale Hetz gehabt, und dann ist man wieder proben gegangen. Das war für mich, neben Strassberg, die wichtigste Arbeit dieser Zeit, war mir viel näher als die Arbeit mit Grotowksi, die mir zu "heilig" war, obwohl mir klar war, dass sein "mythisches Theater" natürlich eine politische Metapher war, die sich zentral mit dem Thema der Freiheit innerhalb des kommuinistischen Systems beschäftigte. Das wurde im "Westen" nie richtig verstanden. Dazu mußte man nach Polen - Wroclav fahren. Ich bin dann nach Bochum zu Savary gegangen, der mich eingeladen hatte bei einer Inszeniereung - Grimmelshausen "Mutter Couerage" - die Vorlage für die Brecht - Mutter Courage, mit der Hannelore Hoger und solchen Kalibern - der Zadek ware damals noch Intendant in Bochum - eine tolle Zeit - Ich machte jedenfalls Hospitanz bei Savary um dann bei dem berühmtern mehrwöchigen ersten Lee Strassberg (New Yorlk- Actor Studio) in Europa mitmachen zu können. Diesen workshop wollte ich unbedingt besuchen, weil da die spannendsten Schauspieler des west-deutschen Sprachraumes eingeladen waren und weil Strassberg einfach alles über die notwendigen Stanislawski Technik des Schauspielers wusste, was ja - auch für meine Regiearbeit - mir als das Wichtigste erschien. Aber die Arbeit mit Savary war für mich damals die prägendste Erfahrung. Und direkt von da hat mich der tschechische Regisseur Menzel (Prag) geholt, der u. a. für seinen Film Die Nachtigall einen Auslands-Oscar gewonnen hat und damals in Bochum Die drei Musketiere inszenierte, für die er noch die Rolle des Athos zu besetzen hatte. Ich hatte damals so lange Haare und habe wie ein Rocker ausgehen, und das hat er für diese Rolle gesucht, also: der Athos war dann ich. Übrigens der Herbert Grönemaier war da mein Diener. Dann kam die Zeit, in der Kantor (Polen - "Die tote Klasse") wesentlich wurde. Dann kam - 1978 der große Aufbruch, die Fools-Bewegung - in Amsterdam, die Narrentum und Humor in das Theatergeschehen hineingebracht hat und damit gleichzeitig das Theater aufgebrochen hat.
Es war aber auch der Beginn dieses Ego-Wahns, wo die Leute begonnen haben, nasrzistisch sich zu bespiegeln und etwas besonderes zu sein und niemand anderen mehr zu sehen. Das war um 1978.

Wie hat die Wiener Theatersituation damals ausgesehen und wo hast du, zurück in Wien, gearbeitet?

Hubsi Kramar: Ich bin eigentlich mit 68' gerade in die Welle gerutscht. Da war der Haspel mit seinem Cafétheater ab 1968, dann 1974 die Spaltung von Haspel, Gratzer und Piplitz und die Gründung der Mittelbühnen. Obwohl der Erste, der sich freigemacht hat, war der Lederer (1948 - sein Buch: "wie alles begann") mit seinem Theater am Schwedenplatz. Der Höhepunkt 1968 war das Theater am Börseplatz mit Conny Hannes Meyer, das war ganz wesentlich für uns damals, da ist jeder hingegangen. Meyer hatte ja den Brechtboykott in Österreich gebrochen, da war die [Helga] Illich, da ist man auf die Straße hinaus; der Conny Hannes Meyer war auch wesentlich spannender als alles andere Theater in Wien. Wenn man irgendwas mit Theater zu tun hatte damals, dann war man dort, im Bölrseplatztheater. Und für ihn hat man ja dann später auch das Künstlerhaustheater umgebaut, das muss um 1976 gewesen sein.
Um 1979/80 kam es dann in Wien, mit einigen Jahren Verspätung im internationalen Vergleich, zu einem soziokulturellen Umbruch. Da wurde u. a. die Gruppe 80 durch eine Abspaltung von den Komödianten gegründet und hat zuerst mit einer Nestroy-Inszenierung in der Kulisse Furore gemacht, dann folgte die Entstehung der Kabarettszene usw. Ich war damals aber noch in Deutschland un Amsterdam mit Django Edwards, danach in Nürnberg, Bochum, Mannheim. Da kam dann auch 1979 mein Bruch mit dem Stadt- und Staatstheater, weil ich den Umgang nicht mehr akzeptiert und mich dagegen aufgelehnt habe. Also habe ich mich selbstständig gemacht - eine eigene freie Gruppe begründet und bin zurück nach Wien gegangen. Hier habe ich begonnen, mit Aggresso Grande eigene Programme zu schreiben, in denen ich aufgetreten bin, d. h. ich habe dabei u. a. die Miki Malör kennen gelernt, die einmal im Publikum saß und meinte, sie will auch zum Theater, und die mich dann bei dieser Produktion am Klavier begleitet hat und mit der ich noch einige andere Arbeiten realisiert habe, zB das 1. Abfallsymphonieorchester.
Auf jeden Fall sind die Programme von mir sehr gut aufgenommen worden - ich habe etwas neues in die Stadt gebracht - etwas verrücktes - surreales. Das waren richtige Schlagzeilen mit Hymnen über meine verrückten Soloshows, weil es die hier einfach nicht gegeben hat; und plötzlich hatte ich so eine Art "Standing" und habe begonnen, größere Arbeiten mit mehr Personen zu entwickeln, u. a. Der Attentäter, wo der heuitige Oberstaatsanwalt Werner Pleischl mitgespielt hat. Dann habe ich mit satirischen Revues begonnen - dem "neuen Volkstheater", so nanten wir uns die Die Showinisten und Die Bombenstimmung war das erste gegen die Pershing (Raketensysteme der USA in Deutschland) Stationierung. Dazwischen bin ich aber auch immer wieder nach Deutschland, wo ich vor allem gespielt habe, u. a. in Bochum und in Filmen , wo ich mein Geld verdient habe, um es in Wien für meine freien Produktionen zu nutzen. Was o. k. ist. Denn ich wollte kein Sklave sein. Denn frei sein heißt eben auch Unternehmertum, etwas verstehen von Markttechniken, von Strategien, von Politik.
Mit meiner Wiener Gruppe waren wir dann aber auch bald schon in Österreich und Deutschland auf Festivals, etwa 1981 oder 1982 mit einer neuen satirischen Revuein München, wo ich [George] Tabori kennen gelernt habe, der mit mir im selben Zelt gearbeitet hat (seine berühmeten Hungerkünstler". 1984 folgte dann die Konrad-Bayer-Gala, für die ich die Kainz-Medaille erhalten habe; und mit dem Ersten Abfall-Symphonie-Orchester waren wir in Hamburg, das war zu der Zeit, wo das Kampnagl-Gelände gegründet wurde, da waren wir in der Gründungsphase dabei, und die Miki [Malör] wurde dann in Hamburg mit ihren eigenen Sachen sehr erfolgreich und hat begonnen, ihre eigenen künstlerischen Wege zu gehen.
In Deutschland habe ich schon zuvor die IG freies Theater in Deutschland mitbegründet, dann kam in Wien das Dramatische Zentrum und dann erst die Entstehung einer IG für freie Theaterarbeit mit der Besetzung des Künstlerhaustheaters, nachdem man den Conny Hannes Meyer rausgeschmissen hatte - die späte Rache der Herrschenden für seinen Brecht-Boykott.)
Die funktionierende IG selbst gab es erst ab dem Zeitpunkt, als man gemeinsam was gebraucht hat, nämlich den Sozialfonds, das Bewusstsein für eine gemeinsame soziale Absicherung. Das war eigentlich der Start, und da war auch die Pistolengeschichte mit der Pasterk, wo ich der damaligen Kulturstadträtin bei einer Veranstaltung die Pistole an den Kopf gesetzt habe und gesagt habe: "So geht es uns. Wir leben von der Hand in den Mund mit einer Pistole an den Schläfen" Aber das Foto ist nie erschienen, obwohl ich extra einen Falter-Fotografen mitgenommen habe und gesagt habe, es wird was passieren, er soll aupassen und das fotograsfieren, was er auch tat. Was ich nicht wusste war, dass der Falter damals mehr oder weniger von der Stadt Wien, übernommen worden war - finanztechnisch, weil er sonst pleite gegangen wäre. Dadurch ist das Bild damals nicht erschienen, sondern erst Jahre später im Profil.
Dann ist zum ersten Mal so eine Art Jury eingesetzt worden, von der wir als IG nichts wussten und uns in der Folge vehement hineinmoniert haben, so dass wir dann später auch darin vertreten waren. Und dann kam es zur Spaltung der IG in die sog. "Fundis" und die "Realos", die sich in der Folge durchsetzen konnten und die IG vor allem zur Dienstleistungsgeschichte wurde mit der Tini Cermak und der Marcille Dossenbach.

In diesen frühen Jahren der ersten Mittelbühnen, war es da für dich noch kein Thema, selbst ein Haus zu führen?

Hubsi Kramar: Es hat bei mir immer geheißen, es gibt kein "Haus" mehr. Ich war immer der Trottel, der Depp, während die anderen alle hinter dem Rücken der Szene ihre Häuser bekommen haben. Aber dieses Neiden zwischen den KünstlerInnen, und zwar alles, von der Förderung über jeden Preis bis hin zum Haus, das habe ich erst mit den Jahren begriffen. Wien ist einfach keine Theaterstadt, es ist eine feudale Stadt mit Mizzi und Pepperl, und es ist unheimlich schwer, die Menschen weg aus den eingeführten Institutionen ins Theater zu bringen, da musst du schon sehr gut sein. Das war Anfang der 80er-Jahre einfacher, da war eine Umbruchstimmung, da war viel Geld da, die Theater waren voll, der Gratzer z. B. hat die angesagten Produktionen die er in London oder New York gesehen hat in Wien inszeniert hat. Und dann ebgann die Hochzeit der Kabarettisten, die Josefstadt galt als "verzopft", und die Leute sind wirklich in die Mittelbühnenj und Kleinbühnen gegangen, um was Neues zu sehen. Die wirkliche Teilung der Szene kam ab Mitte der 80er-Jahre mit der Entwicklung unterschiedlicher Szenen innerhalb der Szene, u. a. mit der Entwicklung der Tanzszene. Bis dahin hat es einen Zug gegeben, da hat es gegärt.
Mit den Erfahrungen, die ich in Hamburg in der Gründungsphase des Kampnagls und mit den zahlreichen internationalen KollegInnen, mit denen ich dort arbeiten durfte, gemacht hatte, habe ich in Wien begonnen, Orte zu bespielen, die für mich innerhalb der Stadt strategisch wichtige Orte waren, wie zum Beispiel das ehemalige Residenzkino am Beginn der Mariahilfer Straße [der heutige Dschungel Wien] und in der Folge das Kabelwerk und heute das 3raum Anatomietheater, in dem wir jetzt arbeiten.
Ich habe damals aufgehört, der Stadt Wien zu glauben, dass es kein Haus gibt, und habe an mich geglaubt, dass ich das schaffen. Diese Öffnen neuer Räume hat erst mit uns begonnen. Es war eiune soziokulturelle Welle der Neuerungen.
Ich habe sehr gerne in diesen gemeinsamen Strukturen gearbeitet, ich bin ein sozial denkender Mensch, der jüngste von sieben Kindern, da wird man sozial, für mich war das auch immer eine politische Frage. Deshalb war die Gründung der IG und die Arbeit für die IG für mich so wichtig. Aber dieses Denken kommt immer wieder - in Wellen. Die Art, wie im Zuge der Theaterreform agiert wurde, die war so kläglich innerhalb der Szene. Das hat tatsächlich eine Reihe von Toten gefordert, ich nenne nur den Wolfgang Müllner - ehemals WUT, der sich umgebracht hat, weil er einfach Angst bekommen hat, keine Engagements mehr bekommen hat, oder der Alu - der Alois Hofinger der das Jugendstiltheater geleitet hat, den man faktisch von der Stadt her ausgehungert hat , der sich so aufgerieben hat, dass er letztes Jahr an Krebs gestorben ist. Es geht tatsächlich um Leben und Tod. Und das auch hat mit der Theaterreform zu tun. Die wiederum mit dem Paradigmenwecvhsel zu einer neoliberalen Gesellschaft - Jerder ist sich selbstz der Nächste - freie Wildbahn. Das kann man nicht beschönigen. Aber es wird wieder eine Zeit kommen, in der man sozialer agiert. Sozial agieren muß. Ich habe schon früh verstanden, dass der Mensch sehr gescheit sein kann, was aber noch nicht heißt, dass er sozial ist.

Ich würde gerne zum Ende unseres Gesprächs auf deine Arbeit hier im 3raum Anatomietheater eingehen. Wieso dieser Raum, und wie wählst du die Arbeiten aus, die hier gezeigt werden, wie sieht die Art und Weise der Kooperation an diesem Ort aus?


Hubsi Kramar: Eigentlich wollte ich ja nach dem Ende des Kabelwerks mit Kollegen ein Gasthaus aufmachen, in dem wir dann auch einfach am Abend spielen, plötzlich, unangekündigt. Das hat aber nicht geklappt. Und dann habe ich diesen Ort hier entdeckt, der in meinen Augen ganz stark unserer Zeit entsprich; ein Schlachthof, ein hoch ästhetischer Raum, sehr poetisch - es ist mir einfach passiert! Es ist ein bautechnisches Juwel, das mich wirklich aufgrund seiner Architektur und seiner Geschichte angesprochen hat. Dadurch wie geschaffen ist für zeitgenössisches Theater - Theater der Schlachthöfe ...
Was die Menschen, die hier arbeiten, betrifft: Ich habe sehr viel Erfahrung darin, zu wissen, wer hier überhaupt mit mir arbeiten kann, wer hier dabei sein kann, wo ich weiß, dass die Gruppe passt, dass er oder sie die Gruppe nicht zerschlägt. Wir haben daher auch wenige Konflikte und wenige Aggressionen hier im 3raum-Ensemble.
Es gibt aber auch Gastproduktionen, wo es schon schwieriger wird. Da gibt es Kollegen, von den ich künstlerisch viel halte, obwohl es menschlich schwieriger ist, dann gibt es sehr viele Junge, die ich hier frei arbeiten lasse und mich nicht einmische, und wo natürlich auch Dinge schief gehen. Und dann gibt es auch Kollegen, die reinrauschen und ihre Dinge durchziehen, die dann na ja... und ich mir denke, warum hier in meinem Raum, das macht doch keinen Sinn ...
Es macht auch keinen Sinn, jemandem, der seelische Probleme oder Angst hat, zu helfen, in dem man ihm erlaubt, hier zu arbeiten. Das bringt nichts. Man muss auch wissen, wie man mit einem Menschen umgeht und seinen Verletzungen.

Aber gab es diese existenzielle Angst nicht in den 70er- und 80er-Jahren?


Hubsi Kramar: Nein. Damals ging es allen wirtschaftlich gut, und zugleich war alles viel billiger. Man hat 1-2 Monate gearbeitet und konnte dann davon 1 Jahr lang leben. Durch die heutige Präkarität und die Umverteilung von unten nach oben, herrscht eine wachsende Not, nicht nur bei den Kunstschaffenden. Aber diese ökonomische Not bewirkt auch eine seelische Not. Damals war es ein andere Leben miteinander. Ich bin zum Beispiel einmal mit meiner Gruppe nach Berlin, und wir sind um Mittenacht angekommen, und ich bin mit allen in ein Lokal und habe gesagt, wir brauchen alle einen Platz zum Schlafen, und nach 20 Minuten hatte ich 12 Leute untergebracht. Mach das heute! Das ist undenkbar. Die Zeit muss man neu denken, vor allem in Hinblick auf die Ängste, die man hat und die dich nicht frei machen. Du bist ja nicht frei. Und diese Angst hemmt jegliche Kreativität. Von der musst du dich einfach befreien. Aber mit müssen geht nicht viel.
Ich bin frei. Ich bin wirklich einer der Wenigen, die seit 30 Jahren das machen, was sie wollen. Auch wenn ich heute noch immer hier im 3raum die Klos putze. Ich habe zwischen 20 und 30 gelernt, und ich sehe meinen Beruf als Geschenk. Ich habe Schauspiel studiert, um den Schauspieler zu verstehen. Wenn ich etwas verstanden habe, dann kann ich alles machen. Ich habe zum Beispiel auch nie Lampenfieber. Aber ich muss oben - im Vernunftsbereich begriffen haben, warum ich etwas tue.
Ein selbstbewusster Mensch wie ich, der so erzogen wurde, wie ich, hat das Glück, sein Leben lang tatkräftig zu sein und irgendwann einmal umzufallen. In der Früh gibt es eine kalter Dusche, meinen Apfelessigtee und meine Übungen, und schon geht es los mit der Arbeit. Ich habe zurzeit täglich mehrere Termine. Ein Leben habe ich auch noch. Ich habe keine Zeit für meine Wehwehchen.

-----------------------------------

www.3raum.or.at
www.hubsikramar.net

Erstabdruck in: gift Dezember 08/Jänner 09